SPZ Akademie: Wir pflegen Wissen #4
In die Haut einer 75-Jährigen geschlüpft – Selbstversuch mit dem „Age Man“-Alterssimulationsanzug
Die ältere Dame vor Ihnen an der Kasse wühlt und wühlt in ihrem Portmonee, um das passende Kleingeld herauszuholen. Sie fragt nach, ob es passt, dann lässt sie es auch noch fallen, bückt sich langsam und tastet auf dem Boden herum, um die Cent-Stücke aufzusammeln. Für einige Menschen ein Grund, ungeduldig zu werden. Das würden sie jedoch nicht, wenn sie genau wüssten, welche Last die Seniorin zu tragen hat. Vermutlich eilen sie stattdessen blitzschnell zu Hilfe. Woher ich das weiß? Im Age Man-Anzug hat mich die SPZ-Akademie in Sekunden um locker 35 Jahre altern lassen. Dieser Blick auf mein 75-jähriges Alter Ego ist wirklich eine Erkenntnis.
Im ersten Moment sieht es ganz cool aus, wenn die einzelnen Teile des „Age Man“-Anzugs übergestülpt sind – die schwarze Gewichtsweste, Bandagen an Arm- und Kniegelenken und Gewichte an Füßen wie Händen polstern ordentlich ab. Sie sind aber vor allem richtig schwer. Nicht deswegen, weil ältere Menschen so an Gewicht zulegen, sondern, weil sie an Kraft verlieren, was sich in der Umsetzung wie tonnenschweres Gewicht anfühlt.
Das ist schon zu spüren, als ich nach meinen Turnschuhen greife, mich hinsetzen muss, um sie anzuziehen und zuzuschnüren. Bücken geht nicht so lange – und das Prozedere ist deutlich aufwendiger als gewohnt. Das Aufstehen hat mehr mit Aufstemmen zu tun und die Schritte, die ich dann gehe, sind weitaus schwerfälliger und langsamer. „Es ist Wahnsinn, wie du schleichst, wie gedrückt dein Nacken und krumm dein Rücken aussehen“, kommentiert eine Freundin erschrocken.
Eine Runde um den Block weckt in mir ständig den Wunsch, zu kurzen Päuschen anzuhalten. Und die Treppen vor mir werden plötzlich ellenlang. Die Hand muss zwingend auf die Brüstung, um sich im Zweifel hochziehen und vor allem abstützen zu können.
Mit dem Visier auf dem Kopf hat die Welt dazu eine andere Farbe angenommen. Alles sieht gelbstichig aus, ein wenig unförmig. Die Umgebung verliert an Klarheit. Als meine Freundin neben mir was sagt, muss ich den Kopf extrem weit zu ihrer Seite drehen, um sie anblicken zu können. Mein Sichtfeld ist eingeschränkter, als zuvor. Wegen der Bandage um meinen Hals fühlt sich die Drehung zudem sehr steif an.
In der Wohnung zurück, krame ich nach Kleingeld im Portmonee. Meine Freundin will Getränke holen. Mit doppelten Handschuhen versehen sind die Hände unbeweglicher, die Fingerfertigkeit eingeschränkt. Das Getaste in der Geldbörse fühlt sich grob an. Als mir das Geld beim Überreichen aus den Fingern fällt, lasse ich mich langsam auf den Boden sinken, will die Stücke aufheben. Die 2-Euro fallen noch leicht, doch bei den Centstücken dauert es ewig, bevor ich sie vom Boden aufklauben kann. Keine Chance, meine steifen Finger kriegen die schmalen Ränder nicht zu fassen. Ein zermürbendes Erlebnis, beim Aufstehen schwitze ich.
Erschöpft lasse ich mich auf den Stuhl in der Küche sinken, greife nach der Wasserflasche, will trinken. Mit den Gewichten an den Handgelenken und den Bandagen an den Ellbogen ist es ein echter Akt, sie an den Mund zu führen. Natürlich funktioniert es, aber eben nicht so selbstverständlich einfach.
Jetzt ist Kochen angesagt, denn all diese Erlebnisse machen hungrig. Ich raffe mich langsam auf, will die Zwiebeln aus dem Topf holen. Der steht über meinem Kopf im Regal. Den Arm anzuheben, ist eine Herausforderung. Ich bin froh, als der Zwiebeltopf in meinen Händen ist und ich ihn auf dem Tisch abstelle. Zwiebeln zu schälen, ist sowieso eine nervige Aufgabe, finde ich. Im Alter wird das noch mühseliger, wenn sich die Pelle unter den Fingerspitzen wehrt. Das Schneiden dann verläuft grobmotoriger als sonst.
Gemeinsam am Küchentisch sitzend redet meine Freundin mit mir. Die Ohrenhörer verringern den Schalldruck und dämpfen im Bereich hoher Frequenzen. Ich verstehe ihre Worte, aber sie klingt dumpf und ich muss mich konzentrieren. Würde Musik laufen oder wären weitere Menschen im Raum, es wäre anstrengend, ihrer Erzählung zu folgen.
Nach gut 30 Minuten will ich nur noch raus aus dem Anzug. Alles tut mir weh, ich bin schlapp von den Herausforderungen, die all die körperlichen Einschränkungen bedeuten: normale Vorgänge rauben enorm viel Kraft und erfordern extreme Geduld. Der Blick in die Zukunft ist daher durchaus aufwühlend - und mein Verständnis für die Schwächen älterer Menschen ist gewachsen.
Aufgeschrieben von Antje Preuschoff im Auftrag der SPZ-Akademie.
Übrigens: Der „Age Man“-Anzug simuliert das Alter nicht 1:1. Schließlich gibt es viele individuelle Unterschiede, nicht jeder wird von allen Einschränkungen gleichermaßen betroffen sein. In der Realität geht der Alterungsprozess natürlich langsamer, Anpassungs- und Gewöhnungsprozesse helfen. Dennoch ist es gut, so einen Blick hinter die Kulissen des Alterns zu werfen, um Barrieren abzubauen und Verständnis zu wecken.
Die SPZ Akademie bietet den Anzug Auszubildenden und neuen Mitarbeitern an, so dass diese sich in die Haut derjenigen einfühlen können, die in der Altenpflege tagtäglich umsorgt werden. Auch in Schulungen, in denen es um Demenz oder andere Krankheitsbilder geht, kommt der „Age Man“ zum Einsatz ebenso wie auf Messen oder öffentlichen Veranstaltungen, wo sich jeder im Anzug ausprobieren kann. Wer das Alterungsensemble leihen will, kann das [hier] tun.
Die SPZ Akademie wurde 2018 gegründet, um ein individuelles und breitgefächertes Bildungsangebot zu schaffen. Davon sollen Pflege(fach-)kräfte, Azubis, Führungskräfte und alle in Pflegeeinrichtungen arbeitenden Berufsgruppen profitieren. Schwerpunktthemen sind zum einen Pflege, Demenz und Praxisanleitung, zum anderen vermitteln wir in unseren Seminaren Kompetenzen in der Kommunikation, Führung und im Stressmanagement. So erlangen Sie fachspezifisches Knowhow und arbeitserleichternde Fertigkeiten, mit denen Sie selbstbewusst Ihren Berufsalltag meistern! Mehr zu unserem Angebot unter [www.spz-akademie.de].